Dienstag, 24. Dezember 2013

24. Türchen


„Diese Tür ist sonst immer verschlossen!“ flüsterte Max bestürzt. „Hoffentlich denkt Onkel Drako nicht, dass ich mir den Schlüssel genommen habe…“ Die drei Bären sahen sich ratlos an. Onkel Drako war nicht hier oben – sie hatten ihn nach dem Frühstück in seinem Studierzimmer verschwinden sehen und seitdem war er daraus nicht wieder aufgetaucht. Aber wer war dann hier
gewesen? Oder war es sogar noch? Eine kleine Gänsehaut lief den dreien über den Rücken. „Vielleicht hat das Schloss nur aus Altersgründen nachgegeben“, flüsterte Zimt, „wir sollten allerdings dringend versuchen, Mr Patmore ins Erdgeschoss zurückzubringen, bevor Onkel Drako das hier mitbekommt!“ „Da hast du ganz Recht“, antwortete Max ebenso leise. „Um das Schloss können wir uns immer noch kümmern – im Moment sollten wir wirklich zusehen, dass wir Mr Patmore finden!“ So schnell es ohne viele Geräusche zu verursachen möglich war, liefen Max, Zimt und Sternchen die morschen Stufen hinauf und betraten den Dachboden. Dämmriges Licht umfing die drei und durch die an vielen Stellen schon ziemlich modrigen Fensterrahmen der kleinen Dachbodenfenster drang kalter Wind zu ihnen hinein. Der Dachboden war in verschiedene Räume unterteilt, die alle mit alten, teilweise mit Tüchern verhangenen Möbeln vollgestellt waren. Die drei blieben am Eingang stehen und sahen sich mit großen Augen um.
Was war das denn nun wieder? Wütend duckte sich die dunkle Gestalt zwischen zwei Bücherregale und spähte vorsichtig um die Ecke. Vor diesen Bären hatte man scheinbar nirgends Ruhe und gerade jetzt konnte er sie am allerwenigsten gebrauchen. Er war schon so nah am Ziel! Zornig zog er die Augenbrauen zusammen und beobachtete das weitere Geschehen.

„Kommt mit, hier entlang!“ bedeutete Max seinen beiden Freunden. Er kannte sich hier noch aus, schließlich war er früher oft hier oben gewesen. Und er wusste, wo man am besten durch dieses Durcheinander an alten Hausrat hindurchschlüpfen konnte.
Ah, die drei Bären entfernten sich wieder! Die dunkle Gestalt nahm dies mit Erleichterung wahr und schöpfte Hoffnung. Wie gut, dass er das alte Zauberbuch noch gefunden hatte! Er bräuchte nur noch etwas, das den alten Drachen an frühere Jahre, in denen er glücklich war, erinnerte und in vielen langen Nächten war es ihm mühsam gelungen, die am besten geeigneten „Zutaten“ zu entschlüsseln. Der Greis kicherte in sich hinein und war mächtig stolz auf sich bei diesem Gedanken. Hach, er war so zufrieden mit sich und seinem Werk. Er musste nun nur noch finden, wonach er suchte, aber das würde ihm auch gelingen. Keine Frage. Er wusste genau, wonach er suchte und er würde es ganz sicher in Kürze in Händen halten und schon bald blubbernd in seinem schwarzen Kessel versinken lassen.

Auf leisen Sohlen bahnten Max, Zimt und Sternchen sich ihren Weg durch den Dachboden, während sie sich aufmerksam nach Mr Patmore umsahen. Bisher hatten sie dabei allerdings keinen Erfolg, auf dem Dachboden rührte sich nichts und alles war von vollkommener Stille umgeben. Hin und wieder blieb einer der Bären stehen und lauschte, aber die Geräusche waren immer schnell den im Wind ächzenden Fensterrahmen oder den, in der Kälte sich verziehenden altersschwachen Möbeln zuzuordnen. So schlichen sie vorsichtig weiter und hofften, bald zumindest eine Bewegung im Augenwinkel wahrzunehmen und Mr Patmore damit auf die Spur zu kommen.
Die dunkle Gestalt wagte sich ganz vorsichtig zwischen den Bücherregalen hervor. Er hatte sich aus seinem Versteck heraus im Raum umgesehen und einen alten Schrank entdeckt, auf dem ein Stapel alter dicker Bücher lag. Wenn es sich dabei um Fotoalben handeln würde, könnte es sein, dass er sich schon am Ziel befand! Ein Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus, als er sich, immer an die Wand gedrückt, Schritt für Schritt vorwärts schob.

Max, Zimt und Sternchen hatten inzwischen gut die Hälfte des Dachbodens durchquert. Die Kälte kroch ihnen ins Fell und alle waren sich einig, dass es schön wäre, die Dachbodentür bald wieder hinter sich schließen zu können. Brrrr. Dafür müssten sie aber Mr Patmore finden – es galt schließlich, Schlimmeres zu verhindern. Ein wenig ratlos sahen sie sich an. „Wenn ich ehrlich bin: ich glaube, wir finden Mr Patmore hier drinnen nie!“, seufzte Sternchen mutlos. Zimt nickte. „Er könnte hier überall sein! Die wenigsten Stellen kann man tatsächlich gut überblicken und Katzen sind einfach gut darin, sich zu verstecken…“. Hilflos hob er die Hände. Max fuhr sich durch den wilden Haarschopf und blickte sich in Raum um. „Stimmt wohl,“, gab er leise zu. „Lasst es uns zumindest noch in der anderen Dachbodenhälfte versuchen. Wenn wir Mr Patmore dort auch nicht finden, fragen wir Thea. Vielleicht fällt ihr etwas ein, das uns hilft.“ Zimt und Sternchen nickten und schweigend setzten sie ihren Weg durch alte Möbel, morsche Bilderrahmen, zerbrochene Kleiderständer und rostiger Lampen fort.
Die dunkle Gestalt hatte inzwischen die große alte Anrichte erreicht und streckte die knochigen Hände nach dem obersten Buch aus. Es war tatsächlich ein Fotoalbum, wie der Greis frohlockend feststellte. Er war seinem Ziel ganz nahm, das spürte er in all seinen alten Knochen. Behutsam nahm er das Buch vom Stapel und schlug vorsichtig die erste Seite auf und streute sein magisches Pulver sorgsam hinein. Es würde ihn im Handumdrehen zu den richtigen Bildern führen.

Die drei Bären bahnten sich vorsichtig weiter ihren Weg durch den vollgestellten Dachboden und glaubten kaum noch daran, Erfolg zu haben. Mr Patmore war und blieb verschwunden und langsam kroch ihnen die Kälte immer weiter in Pfoten und Ohren – sie würden wohl den schnellsten Weg zur Tür nehmen und sich beeilen, von Thea Rat einzuholen. Sie waren schon fast an der Dachbodentür angekommen, da sah Zimt plötzlich etwas. Auf einem alten Schrank, hinter einigen großen Hutschachteln, war eine deutliche Bewegung auszumachen. Er blieb stehen und machte Max und Sternchen mit einer Handbewegung darauf aufmerksam. Sofort blieben auch die beiden Bären stehen und reckten die Hälse. Zu sehen war allerdings nichts, Zimts Augen mussten ihm wohl einen Streich gespielt haben. Es wäre zwar zu schön gewesen, wenn wenigstens diese Aktion ein Happy-End gehabt hätte, doch so etwas schien hier im Hause einfach nicht möglich zu sein. Mit zusammengekniffenen Augen suchten sie noch einmal die Oberseiten der Schränke ab, doch die Hoffnung war schnell wieder erloschen und so wandten sie sich bald wieder ab und setzten ihren Weg fort.
In dem Augenblick machte Mr Patmore einen kräftigen Satz hinab und stieß dabei eine wacklig auf einer Kante stehende Kiste um. Scheppernd fiel sie zu Boden, begleitet von einem ohrenbetäubenden Lärm. Die drei Bären blieben wie angewurzelt stehen und verfolgten mit schreckgeweiteten Augen, wie sich eine Flut ganz alter Murmeln in verschiedenen Größen und Farben kullernd und hüpfend über den Fußboden ergießt und fröhlich die Treppe ins Obergeschoss hinunterrollt. Direkt bis vors Studierzimmer. Die drei Bären konnten sich vor Schreck nicht rühren, der dunklen Gestalt, die gerade mit klammen Fingern das erste Foto aus dem Album lösen wollte, ging es ebenso. Nur Mr Patmore rollte sich entspannt auf einer Hutschachtel zusammen. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man meinen, er lächelte, während ein Stockwerk tiefer die Tür des Studierzimmers aufflog.

Kreideweiß vor Zorn schoss Onkel Drako aus seinem Studierzimmer und blieb schlingernd in den verstreuten Murmeln zu stehen. Bebend vor Wut holte Onkel Drako tief Luft. Die drei Bären sahen alles mit schreckgeweiteten Augen von der Dachbodentür aus an und zogen ängstlich die Köpfe ein, während sie ihrerseits die Luft anhielten. Was jetzt kommen würde, wagten sie sich gar nicht auszumalen. Trotz allem, was ihnen hier im Advent schon widerfahren war, schien noch eine Steigerung möglich, wie der in Sekunden hochrot angelaufene Kopf von Onkel Drako unschwer vorhersehen ließ.
Schäumend vor Wut stand Onkel Drako nun inmitten all der verstreuten Glasmurmeln. Er blickte nach unten und…  zögerte einen Moment, bevor er sich niederbückte, eine Handvoll Murmeln aufhob und sie mit großen Augen ansah. Den drei Bären stockte der Atem. Was würde nun geschehen? Die drei Bärenherzen schlugen ihnen bis zum Hals. Sie wagten kaum, die Treppe hinunter zu schauen, von wo außer dem Rollen einzelner verstreuter Murmeln nichts mehr zu hören war. Vorsichtig schauten die drei um die Ecke und trauten ihren Augen nicht. Onkel Drako stand da in einem Meer von Glasmurmeln und in seinen Augen sah man Erinnerungen aufleuchten. Er lächelte und im Erdgeschoss hörte man, wie die Uhr ihr leises Ticken durch die Räume schickte.

 

***
Nun überlasse ich es der Phantasie meiner Leser, wie es weiterging. Zum Beispiel könnte sich in diesem Augenblick die dunkle Gestalt mit einem wütenden *plopp* in neblige Luft aufgelöst haben, die bald in der zugigen Dachbodenluft verschwunden war. Im Erdgeschoss könnte heller Glanz erstrahlen, von den die vielen Lichter im Weihnachtsbaum vorm Haus durch das Fenster auf den glänzenden Boden der Eingangshalle gezaubert. Oder Mr Patmore, er könnte glücklich schnurrend um Theas Beine streichen und sich auf ein Schälchen Honigmilch freuen, das ihm gerade hingestellt würde… und es gäbe bestimmt noch viel mehr zu entdecken.


Ich würde mich sehr darüber freuen und wünsche Euch viel Spaß dabei! Vielen Dank fürs treue Mitlesen! Nun wünsche ich Euch allen ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in ein bärenstarkes neues Jahr mit einem Mr Patmore, in welcher Gestalt auch immer, wenn er gebraucht wird.

Liebe Grüße
Tine